Nach Ansicht des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Karlsruhe ist die Berechnung der Regelsätze beim ALG II und beim Sozialgeld (für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres) verfassungswidrig.
Dies verkündete der Senat unter Vorsitz des Präsidenten Hans-Jürgen Papier in einem am heutigen Dienstag mündlich verkündeten Urteil (Az.: 1 BvL 1/09; 1 BvL 3/09; 1 BvL 4/09). Das Urteil betrifft entgegen der vielfachen Darstellung in der Presse nicht nur den Regelsatz für Kinder (Sozialgeld) sondern auch den Regelsatz für Erwachsene (ALG II). Es folgt im wesentlichen der Ansicht des Bundessozialgerichts, das das zugrundeliegende Verfahren im Wege der Normenkontrolle auf den Weg brachte.
Die Berechnungsgrundlage genügt weder dem Grundrecht der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimus als Ausfluss der Menschenwürde aus Art. 1 GG noch dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I GG.
Das Gericht stellte dem Gesetzgeber in seiner Urteilsverkündung ein niederschmetterndes Urteil aus. So wird beispielsweise ein „völliger Ermittlungsausfall“ hinsichtlich der Ermittlung des dem Kinderregelsatz zugrunde liegenden Bedarfs attestiert. Die aktuelle Abstufung der Regelsätze sei teils als „Schätzungen ins Blaue hinein“ zu verstehen.
Zur Beseitigung des verfassungswidrigen Berechnungsverfahrens setzte der Senat dem Gesetzgeber eine vergleichsweise kurze Frist bis zum 31. Dezember 2010. Bis zu diesem Termin muss der Gesetzgeber nun ein transparentes und sachgerechtes Verfahren zur Bedarfsbestimmung zur Anwendung bringen.
Das Bundesverfassungsgericht ordnete zudem an, dass unabweisbarer laufender (nicht einmaliger) Bedarf, der bisher nicht vom Regelsatz gedeckt ist, bis zur Anpassung der Regelsatzberechnung direkt aus Art. 1 I GG in Verbindung mit Art. 20 I GG geltend gemacht werden kann. Was hierunter im Einzelnen zu verstehen ist, wurde am 16.02.2010 im einer Geschäftsanweisung des BMAS und der Bundesagentur für Arbeit geregelt.
Nicht als schlechthin verfassungswidrig sieht das BVerfG die Höhe der Regelleistung für Erwachsene als Solches. Im Bereich der Kinderregelsätze ist jedoch mit einer Erhöhung des Regelsatzes zu rechnen. Eine konkrete Empfehlung hinsichtlich eines monatlichen Betrages machte das Bundesverfassungsgericht erwartungsgemäß nicht.
Die Folgen für bereits erlassene und bestandskräftige Bescheide sind zur Zeit noch nicht abzusehen. Hierzu wird sich in den nächsten Tagen nach der Lektüre der über 70 Seiten starken Urteilsbegründung näheres ergeben. Zum einen gab es in der mündlichen Urteilsbegründung eine Andeutung des Senats, wonach auch bereits in diesem Jahr schon verfassungsgemäße Regelsätze zu zahlen sind. Zum anderen ist eine Vielzahl von Bescheiden unter dem Vorbehalt des Entscheidung des BVerfG ergangen.