Punkt 4: Psychische Krankheiten und Beruflicher Werdegang
Hier wird's spannend. All die anderen Dinge sind sicher auch anderswo im Forum zu finden... und vielleicht das hier auch. Aber ich hab damals nur über viele Umwege davon erfahren.
Die Agentur für Arbeit hat ein berufliches Rehabilitationsprogramm für Leute mit Krankheiten und Behinderungen aller Art. Auch psychische Erkrankungen wie Depression gehören dazu! Es dauert leider erfahrungsgemäß eine Weile, in dieses Programm hineinzukommen - zwischen unseren Terminen verliefen ganze Monate. Aber es lohnt sich wirklich!
Bei uns lief das so: Zuerst einmal haben wir einen Termin bei der Berufsberatung der Agentur für Arbeit gemacht. Dort kann man darum bitten, ins Reha-Programm aufgenommen zu werden. Die Berufsberaterin versuchte, uns davon abzubringen, aber ganz ehrlich, Vergangenheits-Ella - die Frau wusste selbst nicht, was sie da tat. Sie kannte sich mit dem Reha-Programm überhaupt nicht aus.
Mach einfach erstmal einen Termin da. Du wirst dann sowieso nochmal psychisch und medizinisch abgeklopft, und alle Informationen werden vertraulich behandelt. Niemand von der Agentur darf irgendwem erzählen, dass du in diesem Programm bist und warum, es sei denn du gibst deine ausdrückliche Erlaubnis. Wenn du also nicht willst, dass zukünftige Arbeitgeber davon erfahren, dann geschieht das auch nicht.
Nach den Untersuchungen und Tests wurden wir zu einer EBA geschickt. Das steht für Erweiterte Berufs- und Arbeitserprobung. Dort hat man unsere Belastbarkeit getestet und was noch viel wichtiger ist, unsere Fähigkeiten näher angeschaut! Das ist deshalb so gut weil du nach der EBA auch beim Jobcenter verändert eingestuft wirst - man kann dich nicht mehr an Stellen vermitteln, die völlig an deinen Fähigkeiten vorbeigehen oder dich in Sachen Belastbarkeit überfordern. Wie sollte das Jobcenter so etwas auch rechtfertigen?
Während der EBA setz dich nicht zu sehr unter Stress. Man prüft was du tatsächlich kannst, und dad bedeutet zwar, dass du anderthalb Monate lange quasi dauernd Hausaufgaben machst und Tests durchläufst, aber auch, dass es kein richtiges Versagen gibt. Schneidest du überall schlecht ab oder schaffst es nicht, oft genug anwesend zu sein, wirst du wahrscheinlich als erwerbsunfähig eingestuft. Das ist vielleicht nicht schön, bedeutet aber, dass du weiterhin deine finanzielle Grundversorgung beziehen kannst und die Krankenkase gedeckt bekommst. Du kannst die Zeit für eine Therapie nutzen und es einfach später nochmal bei der EBA versuchen. Manche Leute, die wir dort getroffen haben, waren schon zum zweiten oder dritten Mal da.
Beim Auswertungsgespräch der EBA wird dir eine Empfehlung dafür ausgesprochen, wie es weitergehen soll. Du kommst vielleicht in eine Umschulung zu einem dir empfohlenen Berufsfeld (die darf man auch ohne Ausbildung machen!), oder in ein berufliches Training. Dafür musst du dich immer noch selbst bewerben, aber wenn du bei den Trainingsleitern mal reingeschnuppert hast und sie gut auf dich zu sprechen sind, dürfte es nicht allzu schwer sein, reinzukommen.
Du soltest wissen, dass die Leiter der EBA leider weit weniger über die jeweiligen Berufsfelder wissen als die Trainingsleiter. Vertraue ihren Empfehlungen also nicht blind. Wir mussten ganz schön protestieren, als sie uns kaufmännische Berufe ans Herz legen wollten, aber zum Glück haben sie das auch eingesehen, nachdem wir in unserem Wunschbereich hospitiert haben und aufgeblüht sind. Lege einfach dar, wieso du der felsenfesten Überzeugung bist, in deinem Wunschbereich einen Job zu finden. bei uns hat man Rücksicht darauf genommen.
Außerdem gab's bei der EBA jeden Tag eine leckere warme Mahlzeit kostenlos. Hehehe. Fahrtkosten mit den Öffentlichen erstattet man dir bei der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter, und du hast Anspruch auf Mehrbedarf und Deckung der Krankenkasse während deiner Zeit dort. Fahrtkostenerstattung und Krankenversicherung bekommst du sogar, wenn du sonst noch keine Bezüge erhältst, von der Agentur für Arbeit.
Bewirb dich so schnell wie möglich. Wenn du dich beeilst, kann das Jobcenter dich nicht einfach anders vermitteln. Sprich unbedingt deine Teilnahme in der Reha bei deinem ersten Besuch in der Leistungsabteilung des Jobcenters an! Man wird dir entgegenkommen und mit Vermittlungen warten, bis dein Kurs für die Zukunft feststeht - du bemühst dich ja schließlich bereits um Integration in den Arbeitsmarkt. Der letzte Schritt vor dem beruflichen Training ist manchmal ein Vorstellungsgespräch mit dem Trainingsleiter und einem Psychologen, der nochmal unabhängig prüft, ob du auch wirklich bereit bist. Das haben wir natürlich mit Bravur bestanden!
Wir haben das berufliche Training noch nicht angefangen, weil wir viel zu lange getrödelt haben mit der Bewerbung. Aber das ist schon okay, im Oktober geht's los. Für ein halbes Jahr sind wir fest eingeplant, wir werden wieder an einen normalen Arbeitsrhythmus gewöhnt (am Anfang hat unser 'Arbeitstag' fünf Stunden, dann wird langsam, über Monate hinweg, die Stundenzahl nach oben verändert bis wir bei acht ankommen) und bekommen neben beruflicher Expertise im Medienbereich auch eine psychologische Betreuung, die uns Stressbewältigung und dergleichen näher bringt.
Wahrscheinlich wird unsere Zeit dort auf ein ganzes Jahr verlängert werden, aber das ist okay. Wir müssen das eben in unserem eigenen Tempo schaffen.
Während eines beruflichen Trainings bekommt man übrigens Mehrbedarf nebst ALG oder Erwerbsunfähigkeitsrente. Und wenn man sich bei der EBA oder durch das Training für eine Umschulung qualifiziert, winkt die Möglichkeit, diese mit einem Bildungsgutschein zu finanzieren (was bedeutet dass wir vielleicht an die Kunstschule gehen können,die wir so toll fanden! Juchu!).
Und es kommt noch besser! Bei der EBA bekommt man mit etwas Glück den Auszug aus dem Elternhaus sogar empfohlen, was auch an die Agentur für Arbeit und das Jobcenter weitergegeben wird! Also eine weitere Hilfestellung, die dir erlaubt, ALG II dann zu beantragen falls du es noch nicht hast!
Quellen: Berufsberatung der Agentur für Arbeit, Abteilung für berufliche Rehabilitation bei der Agentur für Arbeit, Berufliches Trainingszentrum
Punkt 5: weitere Ratschläge
- Beim Bezirksamt findest du den Sozialpsychiatrischen Dienst. Frag dort wegen psychologischer Betreuung im Altag nach. Du kannst Betreutes Einzelwohnen auch in einer eigenen Wohnung beantragen, aber manchmal kannst du einen Wohnplatz durch den Dienst ergattern. Ansonsten kommst du sicherlich an eine zu dir passende Betreuung, die dir den Alltag erleichtert - unsere Betreuerin hat uns sogar schon bei Behördengängen begleitet!
- Das Faxgerät ist dein bester Freund! Es ist schneller als der Postweg, das Eingangsdatum stimmt IMMER mit dem Faxdatum überein (selbst wenn die Behörde an dem Tag geschlossen hat) und die meisten Faxgeräte spucken eine Sendebestätigung aus, die es dir ermöglicht deine rechtzeitige Beteiligung nachzuweisen, selbst wenn bei der Behörde was verlorengeht. Und es geht nichts verloren. Die wissen, dass sie damit nicht durchkämen.
- Wenn du eine Frage an eine Behörde hast, wende dich immer an eine Person aus dem zuständigen Bereich. Die allgemeinen Mitarbeiter haben fast nie Ahnung von Bereichen außerhalb ihres eigenen. Geh fleißig persönlich hin, warte nicht die x Wochen ab, die sie zur Bearbeitung Zeit haben - die meisten Angelegenheiten lassen sich innerhalb von fünf Minuten persönlich regeln. Klar, mit zwei Stunden Wartezeit - aber das ist besser als wochenlange Zitterpartien.
- Wenn du kein Geld mehr hast (was uns schon zweimal aufgrund von Fehlern bei den Behörden passiert ist) geh mit Kontoauszügen zum Jobcenter. Du kannst dort einen "Vorschuss" bekommen (selbst wenn der eigentlich schon drei Monate zu spät kommt *grummel*) und mit hoher Wahrscheinlichkeit im gleichen Zug dein Problem klären.
- Anscheinend hast du Anrecht auf eine Erstausstattung deiner neuen Wohnung. Du musst zwar dafür erstmal Angebote für die Dinge die du haben möchtest (Geschirr, Besteck, Schlafplatz, dergleichen...) beim Jobcenter einreichen und bestätigen lassen, aber... Das ist doch fein, oder?
- Dich nicht auf das Angebot von Andreas einzulassen war eine super Entscheidung, und nicht nur aus den Gründen, aus denen du sie getroffen hast. Personen mit denen du in einer Beziehung bist, gelten als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft und dann guckt Vater Staat sofort, ob er vielleicht was einsparen kann. Du wirst aber wahrscheinlich gute Freunde brauchen, um aus der Elternwohnung rauszukommen - es ist nicht leicht, eine Wohnung mit den Worten zu finden: "Noch bin ich nichtmal ALG II berechtigt, aber sobald ich es bin..."
- Viele große Städte bieten anscheinend einen "Stadtname"-Pass an. Besorg dir einen. Diese Dinger machen das Leben so unendlich viel einfacher! Wir haben jetzt Monatskarten für die BVG im Wert von 156€ und dafür haben wir nur 82 Euro gezahlt. Und ein paar Tage später sind wir für umsonst ins Museum gegangen. Die Dinger sind super!
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Damit sind deine Fragen hoffentlich beantwortet, Vergangenheits-Ella. Und ich kann dich beruhigen - es war nicht einfach, aber wir haben jetzt endlich eine Zukunft, eine gesicherte Grundversorgung, und ein eigenes Dach über dem Kopf.
Der Depression zeigen wir auch noch, wo der Hammer hängt.